Die Zwangswelle - Die Herkunft der La Ola 11FREUNDE

Publish date: 2024-11-06

Eine Welle kann aus Wasser bestehen, aus Schall, Licht und auch aus Men­schen. Dann heißt sie »La Ola« und rollt durch ein Sta­dion. Wie jede Welle trans­por­tiert sie, phy­si­ka­lisch betrachtet, Energie durch den Raum, jedoch keine Materie. Das wäre ja auch noch schöner – wer will schon wäh­rend eines span­nenden Spiels von seinem Sitz gespült werden? Vielen reicht es schon, wenn sie »La Ola« auf sich zuschwappen hören und sich vor lauter Wut, mit­ma­chen zu müssen, nicht auf den Eck­ball kon­zen­trieren können. Und selbst wenn sie die Welle boy­kot­tieren: Der enthu­si­as­mierte Vor­der­mann springt bestimmt auf und ver­sperrt ihnen die Sicht.

Wie Hüpf­burgen im Mit­tel­kreis ist »La Ola« zum Symbol der Even­ti­sie­rung des Fuß­balls geworden. Wer sich vor ihr weg­duckt, gilt leicht als Spaß­bremse und wird gna­denlos aus­ge­pfiffen. Sie lässt keinen Raum für indi­vi­du­elle Lebens­ent­würfe. »La Ola« schluckt sie alle.

Es braucht nur 35 Men­schen für eine Welle

Doch wie kann ein ganzes Sta­dion unter Grup­pen­zwang gesetzt werden? Nur 35 Men­schen braucht es, um eine »La Ola« ins Rollen zu bringen, fand der Dresdner Ver­kehrs­for­scher Dirk Hel­bing heraus. Mit einer Geschwin­dig­keit von 12 m/​s bewegt sie sich, meist im Uhr­zei­ger­sinn, durchs Rund, was einer Distanz von 20 Sitz­plätzen ent­spricht. Zu schnell, um ihr zu ent­kommen. Men­schen­mengen, so Hel­bings Fazit, ver­halten sich wie che­mi­sche Teil­chen: Trotz ihres eigent­lich freien Wil­lens reagieren sie oft­mals deter­mi­nis­tisch. Man könnte sit­zen­bleiben, aber man tut es nicht.
Das ist wohl der Grund, warum so viele »La Ola« nicht mögen und sie den­noch überall ent­steht. Wie sehr jemand, der nur des Sports wegen ins Sta­dion gegangen ist, unter der Zwangs­welle leiden kann, doku­men­tierte 1989 eine Szene des Films »Harry und Sally«. Dut­zende Male wird Harry von »La Ola« in die Ver­ti­kale gespült, zum Schluss wil­lenlos wie eine Mario­nette.

Nur acht Jahre zuvor hatten zwei männ­liche Cheer­leader aus den USA zeit­gleich die Idee zur Fleischwelle: Sowohl »Krazy« George Hen­derson, der das Base­ball­team Oak­land Ath­le­tics anfeu­erte, als auch Robb Weller, der Ein­heizer der Foot­ball­mann­schaft Washington Hus­kies, nehmen für sich in Anspruch, die Erfinder zu sein. Ein zäher Streit, in den sich mitt­ler­weile sogar der Diri­gent einer Uni­ver­si­täts­ka­pelle ein­ge­mischt hat.

Seit 1987 auf deut­schem Boden

Auch mexi­ka­ni­sche und kolum­bia­ni­sche Fan­gruppen pro­kla­mieren das Patent für sich. Gesi­chert ist indes nur, dass die Welt­öf­fent­lich­keit »La Ola« erst­mals 1984 beim olym­pi­schen Fuß­ball­tur­nier in Los Angeles rollen sah. 80000 Men­schen schwappten wäh­rend der Partie Ita­lien gegen Bra­si­lien durchs Stan­ford Sta­dium. Im Vor­feld der WM 1986 in Mexiko setzte Coca-Cola die Welle in einem Wer­be­spot ein und taufte sie auf ihren heute noch geläu­figen Namen – ihr Höhe­punkt und zugleich der Beginn ihrer kom­mer­zi­ellen Aus­beu­tung. Deut­schen Boden über­flu­tete sie schließ­lich 1987, beim Eis­ho­ckey-Bun­des­li­ga­spiel des ESV Kauf­beuren gegen den Kölner EC. Ganze zehn Mal umkreiste sie das Sta­dion am Ber­liner Platz, dann war sie auch hier­zu­lande nicht mehr ein­zu­dämmen.

Auf »La Ola« surften dick­liche Mas­kott­chen ohne Hose in die Gegen­wart, gefolgt von Sarah Connor und Xavier Naidoo. Nass wird dabei nie­mand – anders als in der Antike. Damals wühlten noch echte Wellen die Grie­chen und Römer auf. Um See­schlachten wirk­lich­keitsnah auf­führen zu können, wurden die Arenen kur­zer­hand geflutet.

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