Die Zwangswelle - Die Herkunft der La Ola 11FREUNDE

Eine Welle kann aus Wasser bestehen, aus Schall, Licht und auch aus Menschen. Dann heißt sie »La Ola« und rollt durch ein Stadion. Wie jede Welle transportiert sie, physikalisch betrachtet, Energie durch den Raum, jedoch keine Materie. Das wäre ja auch noch schöner – wer will schon während eines spannenden Spiels von seinem Sitz gespült werden? Vielen reicht es schon, wenn sie »La Ola« auf sich zuschwappen hören und sich vor lauter Wut, mitmachen zu müssen, nicht auf den Eckball konzentrieren können. Und selbst wenn sie die Welle boykottieren: Der enthusiasmierte Vordermann springt bestimmt auf und versperrt ihnen die Sicht.
Wie Hüpfburgen im Mittelkreis ist »La Ola« zum Symbol der Eventisierung des Fußballs geworden. Wer sich vor ihr wegduckt, gilt leicht als Spaßbremse und wird gnadenlos ausgepfiffen. Sie lässt keinen Raum für individuelle Lebensentwürfe. »La Ola« schluckt sie alle.
Es braucht nur 35 Menschen für eine Welle
Doch wie kann ein ganzes Stadion unter Gruppenzwang gesetzt werden? Nur 35 Menschen braucht es, um eine »La Ola« ins Rollen zu bringen, fand der Dresdner Verkehrsforscher Dirk Helbing heraus. Mit einer Geschwindigkeit von 12 m/s bewegt sie sich, meist im Uhrzeigersinn, durchs Rund, was einer Distanz von 20 Sitzplätzen entspricht. Zu schnell, um ihr zu entkommen. Menschenmengen, so Helbings Fazit, verhalten sich wie chemische Teilchen: Trotz ihres eigentlich freien Willens reagieren sie oftmals deterministisch. Man könnte sitzenbleiben, aber man tut es nicht.
Das ist wohl der Grund, warum so viele »La Ola« nicht mögen und sie dennoch überall entsteht. Wie sehr jemand, der nur des Sports wegen ins Stadion gegangen ist, unter der Zwangswelle leiden kann, dokumentierte 1989 eine Szene des Films »Harry und Sally«. Dutzende Male wird Harry von »La Ola« in die Vertikale gespült, zum Schluss willenlos wie eine Marionette.
Nur acht Jahre zuvor hatten zwei männliche Cheerleader aus den USA zeitgleich die Idee zur Fleischwelle: Sowohl »Krazy« George Henderson, der das Baseballteam Oakland Athletics anfeuerte, als auch Robb Weller, der Einheizer der Footballmannschaft Washington Huskies, nehmen für sich in Anspruch, die Erfinder zu sein. Ein zäher Streit, in den sich mittlerweile sogar der Dirigent einer Universitätskapelle eingemischt hat.
Seit 1987 auf deutschem Boden
Auch mexikanische und kolumbianische Fangruppen proklamieren das Patent für sich. Gesichert ist indes nur, dass die Weltöffentlichkeit »La Ola« erstmals 1984 beim olympischen Fußballturnier in Los Angeles rollen sah. 80000 Menschen schwappten während der Partie Italien gegen Brasilien durchs Stanford Stadium. Im Vorfeld der WM 1986 in Mexiko setzte Coca-Cola die Welle in einem Werbespot ein und taufte sie auf ihren heute noch geläufigen Namen – ihr Höhepunkt und zugleich der Beginn ihrer kommerziellen Ausbeutung. Deutschen Boden überflutete sie schließlich 1987, beim Eishockey-Bundesligaspiel des ESV Kaufbeuren gegen den Kölner EC. Ganze zehn Mal umkreiste sie das Stadion am Berliner Platz, dann war sie auch hierzulande nicht mehr einzudämmen.
Auf »La Ola« surften dickliche Maskottchen ohne Hose in die Gegenwart, gefolgt von Sarah Connor und Xavier Naidoo. Nass wird dabei niemand – anders als in der Antike. Damals wühlten noch echte Wellen die Griechen und Römer auf. Um Seeschlachten wirklichkeitsnah aufführen zu können, wurden die Arenen kurzerhand geflutet.
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