Bei Null beginnen - Fananwalt Schmitt ber Gewalttter 11FREUNDE

Publish date: 2024-11-16

Steffen Schmitt, in der deut­schen Fuß­ball-Szene sind Sie als »Fan­an­walt« bekannt und betreiben sogar die gleich­na­mige Home­page. Ich wusste bis­lang gar nicht, dass es diese Job­be­zeich­nung gibt.

Da müssen sie sich keine Vor­würfe machen, der Begriff des »Fan­an­walts« ist nicht recht­lich geschützt . Ich bin aber seit zehn Jahren Anwalt seit 30 Jahren Fuß­ball-Fan (vom Karls­ruher SC, d. Red.) und habe viel mit Fan­pro­blemen zu tun. Meine Arbeit scheint sich offenbar herum gespro­chen zu haben.

Woher kommen Ihre Kli­enten?

Natür­lich aus Karls­ruhe, aber auch aus Wolfs­burg, Mainz, Bremen, Mann­heim Kai­sers­lau­tern… Und ob sie es glauben, oder nicht, ich habe tat­säch­lich sogar schon Kli­enten aus Stutt­gart gehabt – was für einen Karls­ruher nicht gerade selbst­ver­ständ­lich ist.

Spiegel-online titelte vor einiger Zeit: »Hoo­ligan-Datei steht vor dem Aus«. Auch des­halb, weil einige Ihrer Kli­enten erfolg­reich gegen die Spei­che­rung ihrer per­sön­li­chen Daten geklagt hatten. Wie nötig haben wir die »Gewalt­täter Sport«-Datei über­haupt?

Ob man so etwas drin­gend braucht, dar­über lässt sich streiten. Aber wenn man diese Datei führt, dann muss Sie ers­tens recht­lich ein­wand­frei und zwei­tens aus­sa­ge­kräftig sein.

Und das ist sie nicht?

In der jet­zigen Form: Nein. Die Datei wurde 1994 doch vor­rangig aus dem Grund ein­ge­führt, um Polizei und Gerichten die Arbeit zu erleich­tern. Aktuell haben wir 11.000 ein­ge­tra­gene Per­sonen mit 13.000 Ein­trägen. Damit ist keinem Gericht der Welt geholfen. Die Daten­masse ist viel zu groß und unüber­sicht­lich geworden.

Wel­chen Folgen kann das für die betrof­fenen Per­sonen haben?

Eben weil die Zahl der ein­ge­tra­genen Daten so riesig ist, werden Aus­rei­se­ver­bote und Mel­de­auf­lagen mit der Gieß­kanne ver­teilt. Jeder Grenz­be­amte hat ja Zugriff auf die Datei. Wäh­rend die meisten Per­sonen, deren Daten gespei­chert wurden, davon noch gar nichts wissen. Das führt zu den absur­desten Situa­tionen.

Zum Bei­spiel?

Wir hatten einen Fall von Karls­ruher Fans, die 2008 zur EM in die Schweiz ein­reisen wollten. An der Grenze war man schon gewarnt, hat die Papiere über­prüft und weil sich die Daten mit denen in der »Gewalt­täter Sport«-Datei über­schnitten, durften die Jungs nicht über die Grenze. Bis dahin wusste keiner von denen, dass ihre Namen akten­kundig waren. In einem anderen Fall wollte ein KSC-Fan mit seiner Frau nach Zypern in Urlaub. Weil aber etwa zum glei­chen Zeit­punkt auch die deut­schen Natio­nal­mann­schaft auf der Insel spielte, bekam er Pro­bleme bei der Aus­reise .

Wie muss man sich das vor­stellen: Leuchten beim Zöllner dann rote Lampen auf, wenn die ent­spre­chenden Per­so­na­lien ein­ge­geben werden?

Das nun nicht, aber er wird fol­gende Ein­träge finden: »Person xy hat am sound­so­vielten beim Spiel soundso fol­gende Straftat begangen…« Und so weiter. Dabei han­delt es sich aber oft ledig­lich um Ermitt­lungs­ver­fahren, nur das weiß der Grenz­be­amte nicht. Er hat gar nicht die Mög­lich­keit zu unter­scheiden.

Wann kommt es denn zu einem Ermitt­lungs­ver­fahren?

Da reicht es schon, wenn sie Teil einer grö­ßeren Gruppe waren, von der eine Person eine Auto­scheibe zer­dep­pert hat oder wenn sie einem geg­ne­ri­schen Fan den Schal geklaut haben. Ihre Per­so­na­lien werden auf­ge­nommen, ihre Daten gespei­chert. Und der Zöllner ver­wei­gert ihnen mög­li­cher­weise die Ein­reise.

Ein aktu­elles Urteil hat drei von Ihnen ver­tre­tenen KSC-Fans Recht gegeben, die die sofor­tige Löschung Ihrer Daten ein­ge­klagt hatten. Spiegel-Autor Chris­toph Ruf schrieb von einem »Pau­ken­schlag in der deut­schen Fuß­ball-Szene.« Wird es jetzt zu einer Ket­ten­re­ak­tion an Klagen kommen?

Davon ist aus­zu­gehen. Oder die Politik zieht vorher die Reiß­leine und ver­an­lasst die Löschung der kom­pletten Datei. Aber das halte ich für illu­so­risch. Ich halte es für wahr­schein­li­cher, dass die Datei zunächst einmal bleibt wie sie ist und abge­wartet wird, wer alles Löschungs­an­sprüche erhebt.

Können auch Pri­vat­per­sonen alleine eine solche Daten-Löschung bean­tragen, oder braucht man recht­li­chen Bei­stand?

Theo­re­tisch können sie das auch auf eigene Faust ver­su­chen, aller­dings ist die Gefahr groß, sich in diesem mons­trösen Daten­wirr­warr zu ver­lieren. Außerdem nimmt der ganze Akt ziem­lich viel Zeit in Anspruch.

Wie viel?

Die KSC-Fans, die vor kurzem Recht bekommen haben, haben vor mehr als einem Jahr die Löschung ihrer Daten bei der ört­li­chen Poli­zei­stelle bean­tragt. Die meiste Zeit ging für außer­ge­richt­liche Kor­re­spon­denz mit Behörden drauf. Vom Aus­kunfts­an­trag bis zur abschlie­ßenden Ableh­nung durch die Behörde wurde sehr viel hin und her geschrieben.

Sie spra­chen bereits davon, dass nie­mand, der in die Liste auf­ge­nommen wird, davon in Kenntnis gesetzt wird. Wie läuft so ein Aus­kunfts­ver­fahren ab?

Die Info können Sie beim jewei­ligen Lan­des­kri­mi­nalamt erfragen oder bei der LZPD (Lan­desamt für Zen­trale Poli­zei­liche Dienste Nord­rhein-West­falen, d. Red.). Wenn man die Aus­künfte hat, kann man die nötigen Löschungs­an­träge stellen. Und wenn denen nicht statt­ge­geben wird, kann schließ­lich auch geklagt werden.

Dass die Datei nun womög­lich recht­lich nicht mehr tragbar ist, liegt offenbar auch an einem bestimmten Geburts­fehler…

Das kann man so sagen, ja. Um tat­säch­lich recht­mäßig die per­sön­li­chen Daten ein­zu­tragen, braucht es eine so genannte Rechts­ver­ord­nung. Die gibt es aber nicht, son­dern nur eine soge­nannte Errich­tungs­an­ord­nung, die meines Wis­sens vor der WM 2006 von den Innen­mi­nis­tern der ein­zelnen Bun­des­länder geschaffen wurde. Diese Errich­tungs­an­ord­nung ersetzt aber keine Rechts­ver­ord­nung. Das Pro­blem ist: Diese Anord­nung liegt zwar in den Schub­laden der Poli­zei­sta­tionen, aber ansonsten kennt die kein Mensch, sie ist nir­gendwo ver­öf­fent­licht. Trotzdem wird seit Jahren munter drauf los ein­ge­tragen.

Was müsste man ändern?

Ganz genau kann ich das momentan nicht sagen, weil es diese not­wen­dige Rechts­ver­ord­nung ja nicht gibt! Was man jeden­falls regeln müsste: Wer kann von wem unter wel­chen Vor­aus­set­zungen ein­ge­tragen werden. Das erfor­dert natür­lich eine ent­spre­chende Gründ­lich­keit und das wie­derum kostet Zeit. Außerdem wären diese neuen Vor­gaben laut Gesetz zu ver­öf­fent­li­chen. Dann weiß jeder Bürger, jeder Fuß­ball-Fan woran er ist.

Das heißt doch auch, dass man es aktuell noch zu ein­fach macht.

Im Augen­blick kann prak­tisch jeder Poli­zist, der beim Fuß­ball ein­ge­setzt ist, die Ein­träge vor­nehmen und es obliegt einzig der Ein­schät­zung des jewei­ligen Beamten, ob die Daten in die »Gewalt­täter Sport« Datei ein­ge­tragen werden. Das geht so natür­lich nicht.

Mit wel­chen Folgen müssen die jewei­ligen Betrof­fenen noch rechnen?

Außer den Pro­blemen an der Grenze vor allem mit Auf­lagen bei Fuß­ball-Groß­ereig­nissen, also bei­spiels­weise WM oder EM. Das kann auf zwei Arten erfolgen: Ent­weder mit Platz­ver­weisen oder der Auf­lage sich wäh­rend eines Tur­niers jeden Tag bis zu zweimal per­sön­lich bei der jewei­ligen Poli­zei­sta­tion zu melden.

Gilt das für jede in der Datei ein­ge­tra­gene Person oder werden ent­spre­chend der Vor­komm­nisse Unter­schiede gemacht?

Nein, das kann leicht jeden treffen. Das ist ja gerade das Absurde: In den meisten Fällen müssen Fuß­ball-Fans völlig unge­recht­fer­tigt oder wegen einer Lap­palie diese Mel­de­auf­lagen erfüllen.

Wie viele von den 11.000 ein­ge­tra­genen Per­sonen haben sich denn eigent­lich wirk­lich strafbar gemacht?

Das kann keiner sagen, dazu bräuchte ich eine Kris­tall­kugel und selbst dann wäre eine exakte Pro­gnose schwierig. Es gibt ja bis­lang keine genaue gesetz­liche Rege­lung, wer eigent­lich ein­ge­tragen werden darf. Des­wegen weiß man auch nicht, in wel­chen Fällen den Ein­tra­gungen wirk­lich Straf­taten zugrun­de­liegen.

Wir spre­chen die ganze Zeit von den unschul­digen Opfern. Wenn die Datei nun als recht­lich nicht tragbar bewertet wird, was pas­siert dann mit den Infor­ma­tionen über die tat­säch­li­chen Straf­täter und Hoo­li­gans?

Die haben wohl das Glück, dass auch ihre Daten gelöscht werden müssen, wenn sie Löschungs­ver­fahren betreiben. Das ist nun einmal so in einem Rechts­staat. Wenn eine aus­rei­chende Rechts­grund­lage fehlt, kann der Löschungs­an­spruch von jedem erhoben werden. Ein neue »Gewalt­täter Sport« Datei müsste meiner Mei­nung nach kom­plett bei Null beginnen.

Das würde ja auch bedeuten, dass bereits erfasste Hoo­li­gans eine neue Chance erhalten.

Das stimmt. Der Staat und die Behörden müssen des­halb eine Datei ent­werfen, die recht­lich auf sicheren Beinen steht.

Inwie­fern wäre die Auf­lö­sung der Hoo­ligan-Datei auch ein wich­tiger Schritt für die För­de­rung der Fan­rechte?

Ein sehr wich­tiger Schritt. Der­zeit gibt es ja zwei Themen, die Fans abseits vom Rasen beson­ders unter den Nägeln brennen: Sta­di­on­ver­bote und eben »Gewalt­täter Sport«.

Nach Ansicht der meisten Fans und Beob­achter der Szene ist der Ursprung aller Kon­flikte das gestörte Ver­hältnis zwi­schen Polizei und Zuschauer. Sehen Sie das auch so?

Das ist einer der Gründe, ja.

Aber ist die Gewalt beim Fuß­ball nicht auch zurück­ge­gangen, seit man sich Mitte der Neun­ziger um mehr Sicher­heit beim Fuß­ball bemüht hat?

Die Gewalt hat sich eher ver­la­gert. Heute treffen sich Hoo­li­gans irgendwo im Wald und schlagen sich dort. Und die mas­sive Poli­zei­prä­senz hat zwar dafür gesorgt, dass es im Umfeld des Sta­dions weniger Straf­taten gibt, aber gleich­zeitig auch dafür, dass jedes Wochen­ende Tau­sende ganz nor­male und fried­liche Fuß­ball-Fans wie Vieh durch das Land trans­por­tiert und an den Bahn­höfen von schwer bewaff­neten Poli­zisten emp­fangen werden.

Was kann man also machen?

Zunächst die Fans mit den Rechten aus­statten, die ihnen zustehen. Wie es dann weiter geht, kann ich nicht sagen. Offen­sicht­lich sind Fuß­ball und Gewalt auch irgendwie mit­ein­ander ver­bunden und wir müssen schauen, wie wir damit am besten klar kommen. Ohne gleich in Hys­terie zu ver­fallen. In einem Rechts­staat geht das aber nur mit rechts­staat­li­chen Mit­teln.

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